Denken ist das neue sexy. Das klingt erst einmal komisch, ist aber so. Denn beim Denken handelt es sich um eine Fähigkeit, die auf der einen Seite im Laufe der Jahre immer mehr verlernt wurde, andererseits aber für die Zukunft essenziell wird. Lassen Sie uns also hinabsteigen in den Kaninchenbau namens Denken. Haben Sie Lust? Dann los.
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Wer denkt eigentlich Ihre Gedanken? Wenn Ihr erster Impuls jetzt ist, mit „Na, ich, wer denn sonst, Ilja?“ zu antworten, dann hoffe ich, mit diesem Artikel ein wenig an Ihrer Komfortzone rütteln zu können. Dafür wollen wir uns über das vermeintlich profane Thema des Denkens unterhalten. Gerade in meinem Job als Keynote Speaker auf Events und Kongressen begegnet es mir regelmäßig, wenn ich Vorträge von anderen Rednern oder Kolleginnen anhören darf. Voller Inbrunst wird dort gefordert, dass wir mehr Vor-Denker, Out-of-the-Box-Denker, Positiv-Denker, Um-die-Ecke-Denker, Kreativ-Denker oder Zukunfts-Denker bräuchten. Und mein erster Impuls ist dann immer gleich: Mir würde es schon reichen, wenn die Leute überhaupt denken würden. Denn das, was umgangssprachlich gerne als Denken bezeichnet wird, ist tatsächlich etwas ganz anderes.
Die vielen Mythen der Kommunikation
Was meine ich damit? Vielleicht haben Sie ja schon mal einen Vortrag gehört, ein Buch gelesen oder einen Podcast gehört, wo es um das Thema persönliche Entwicklung ging. Mit hoher Wahrscheinlichkeit sind Sie dann früher oder später auch über das Beispiel gestolpert, dass es da mal die Studie eines Herrn Mehrabian gab, der herausgefunden haben soll, dass die Wirkung von Kommunikation zu 7 % vom Inhalt, zu 38 % von der Tonalität der Stimme und zu 55 % von der Körpersprache abhängen würde.
Und wie sieht die Schlussfolgerung aus? Ganz einfach: Auf den Inhalt kommt es nicht so wirklich an, Gestik, Mimik und die Stimme sind viel wichtiger. Wahrscheinlich haben Sie auch schon mal die Aussage gehört, dass der Mensch zwei Gehirnhälften habe, von denen die linke für rationale, logische und analytische Aufgaben zuständig ist, während die rechte Hälfte sich um kreative, emotionale und intuitive Dinge kümmert. Oder kennen Sie das Beispiel der Hummel, die nach den Gesetzen der Aerodynamik eigentlich gar nicht fliegen könnte, weil sie das aber nicht weiß, es einfach trotzdem macht? Oder wie wäre es mit der berühmten Yale-Studie von 1957 (die auch gerne als Harvard-Studie bezeichnet wird), nach der 3 % der Studenten, die ihre Ziele schriftlich formulierten, später mehr Vermögen anhäuften als die anderen 97 % zusammen?
Dies sind nur einige von ganz vielen anderen Beispielen, die alle eines gemeinsam haben. Sie stimmen einfach nicht. Es sind Mythen. Die Interpretation der Mehrabian-Studie wurde von ihrem Namensgeber höchstpersönlich widerlegt, dass wir zwei verschiedene Hirnhälften ist nicht korrekt, die Sache mit der Hummel stammt aus der Welt der Mythen und die Yale-Studie hat es niemals wirklich gegeben.
Und jetzt kommen wir zum Thema Denken, denn es gibt einfach ganz viele Keynote Speaker, Autorinnen oder Podcaster, die scheinbar wenig Anspruch an ihre eigenen Inhalte haben, sondern lieber Geschichten, Beispiele oder vermeintliche Studien kopieren und nachplappern. Die das irgendwo mal gehört haben, wissen, dass sie damit einen populären Punkt machen können und es dann ohne jegliche Recherche, dafür mit ganz viel Inbrunst und Überzeugung behaupten (der Dunning-Kruger-Effekt lässt grüßen). Und das heißt, sie denken nicht mehr selber, sondern übernehmen unkritisch und ungefiltert irgendwelche Inhalte, die wohl aufbereitet zur Verfügung stehen und verbreiten diese eins zu eins weiter, ohne sie auch nur einer minimalen Prüfung zu unterziehen.
Die Denkfaulheit greift um sich
„Das ist ja alles schön und gut, Ilja, aber ich bin weder Speaker noch Autor, sondern habe einen ganz anderen Beruf, warum ist das jetzt relevant für mich?“ Gut, dass Sie fragen, denn es das sich hinter diesen Beispielen versteckende Muster finden Sie wirklich überall. Ich spreche von der Denkfaulheit und der immer mehr zunehmenden Tendenz, schon fertige Inhalte, Meinungen und Narrative zu übernehmen, und sie ohne jegliche kritische Überprüfung direkt als die Meinigen zu übernehmen.
Schauen Sie sich gerne den Feed Ihrer favorisierten Social-Media-Plattform an, und Sie werden erstaunt sein, wie viele Artikel, Bilder, Sprüche, Gewinnspiele oder Botschaften ohne jeglichen kritischen Filter wahllos geteilt werden. Meine Lieblingsbeispiele sind diese berühmt-berüchtigten Fake-Gewinnspiele, in denen Apple angeblich 500 iPads verlost, man einen Mercedes GLK oder eine Sony Playstation gewinnen kann. Aber natürlich nur, wenn man den Post in guter alter Kettenbriefmanier mit seinem kompletten Netzwerk geteilt hat.
Und obwohl diese Art von Gewinnspielen bekanntermaßen nur ein riesiger Scam sind, um Daten von Usern abzugreifen, fällt die vermeintlich aufgeklärte und so kritisch denkende Masse immer wieder auf diese Art von Abzocke herein, und die Beiträge werden oft hunderttausendfach geliket und kommentiert.
Wer denkt eigentlich Ihre Gedanken?
Doch woran liegt das? Der Grund ist so einfach, wie alarmierend. Weil viele Menschen denkfaul geworden sind und sich gar nicht mehr die Mühe machen, selber zu denken, sondern diesen Prozess lieber anderen überlassen. Und wenn Sie jetzt einwenden, dass Sie doch den ganzen Tag denken würden, dann möchte ich Ihnen gerne noch einmal die Frage vom Anfang des Artikels stellen:
Wer denkt Ihre Gedanken?
Übernehmen Sie aus Bequemlichkeit einfach nur die Ideen, Meinungen und Standpunkte von anderen oder sind Ihre Gedanken wirklich das Resultat eines individuellen, kritischen und umfassenden Prozesses der internen Analyse? Denn genau darum geht es ja beim Denken, nämlich Informationen aufzunehmen, und diese dann kritisch zu überprüfen, indem man sie weiterentwickelt, verwirft oder mit anderen Ideen kombiniert. Ein guter Ausgangspunkt ist immer folgende Frage: Woher weiß ich das?
Kritisches Denken: Der Prozess, um zum Ursprung des Gedankens zu kommen
Um eine Antwort geben zu können, müssen Sie nämlich einen internen Prozess starten, der Sie zum Kern der Information führt. Zur Erläuterung nehmen wir wieder das Beispiel von den zwei Gehirnhälften, die entweder für Logik oder für Emotionen zuständig sind. Diese Idee klingt nämlich so überzeugend, dass wir schnell in der Versuchung sind, sie ungefiltert zu übernehmen.
Die Frage „Woher weiß ich das?“ unterbricht diesen Impuls jetzt, und führt Sie stattdessen zur Quelle. Denn auf einmal stellen Sie fest, dass der Gedanke ursprünglich nicht von Ihnen kommt, sondern dass Sie ihn irgendwo mal gelesen haben. Die nächste Frage könnte dann lauten: Von wem stammte diese Aussage und wo wurde sie veröffentlicht? Woher weiß dieser Mensch das und welche nachweisbaren Quellen hat er angegeben?
Durch diese Art der Fragen verlassen Sie die Oberfläche und arbeiten sich stattdessen Stufe für Stufe tiefer. Bis Sie irgendwann zu einer Studie, einem Artikel oder zu anderen belegbaren Fakten gelangen. Und das ist nicht immer so einfach.
Nehmen Sie nur das Beispiel von den vielen berühmten Zitaten von Steve Jobs, Anthony Hopkins oder Albert Einstein, die durchs Internet geistern. Vor lauter Zustimmung zu den einzelnen Aussagen wird dabei vor lauter Denkfaulheit übersehen, dass die geteilten Zitate überhaupt nicht von diesen Personen stammen. Und selbst wenn man sich die Mühe macht zu recherchieren, dann startet man eine schnelle Google-Suche, die dann sofort auf einen Blogartikel verweist, der das entsprechende Zitat ebenfalls Einstein oder Jobs zuordnet.
Das Problem dabei: Auch der Blogger hat nicht selber gedacht, sondern das Zitat irgendwo aufgeschnappt und es dann ungefiltert weiterverbreitet. Und weil der Artikel bei Google ganz oben steht, verbreitet sich die falsche Information nun wie ein Lauffeuer.
Kritisches Denken: Von der Oberfläche zur Quelle
Was für das geschriebene Wort gilt, können Sie auch in Vorträgen immer wieder beobachten. Ich werde mittlerweile extrem hellhörig, wenn ich eine der Lieblingsformulierungen vieler Redner höre: „Studien haben bewiesen/herausgefunden/belegt, dass…“. Kennen Sie auch, oder? Bei mir schrillen da sofort sämtliche Alarmglocken und ich frage mich, welche Studie das wohl sein mag, ob die Aussage dieser Person wirklich auf einer nachweisbaren Quelle basiert oder ob er das einfach so behauptet hat. Dieses kritische Hinterfragen, dieses kritische auf den Prüfstand stellen und der Prozess, sich von einer Aussage an der Oberfläche zu den tieferen Ebenen herunterzufragen, das ist es, was Denken wirklich ausmacht.
Und natürlich gebe ich zu, dass dies in einer Zeit, die einem immer intensiver werdenden Information Overload unterliegt, nicht immer ganz einfach ist. Durch die Überversorgung mit den unterschiedlichsten Botschaften, Ideen, Meinungen, Standpunkten und Narrativen ist es extrem herausfordernd geworden, den Überblick zu behalten. Und genau deshalb gilt mehr als je zuvor:
Denken ist das neue sexy!
Weil wirklich und im wahrsten Sinne des Wortes zu denken zu einer Ausnahme geworden ist. Weil seine eigenen Gedanken zu denken, sie mit den wichtigsten Werten abzugleichen, mit anderen Informationen zu kombinieren und daraus ganz neue Ideen zu generieren zur absoluten Ausnahme geworden ist.
Denken ist das neue Sexy
Dies gilt um so mehr, weil die Political Correctness immer mehr um sich greift, dass manche Dinge nur gesagt werden, weil es gerade en vogue ist und andere dafür nicht mehr formuliert werden, weil sie dem gängigen Zeitgeist entgegenstehen. Wenn Sie unter diesen Rahmenbedingungen eigenständiges Denken als sexy Merkmal Ihrer Persönlichkeit herausarbeiten wollen, dann sind die folgenden Fragen ein guter Ausgangspunkt:
- Ist die Idee, die ich gerade denke, die Strategie, die ich entwickle oder die Botschaft, die ich senden möchte, wirklich etwas, was von mir kommt
- Basiert es auf meinen wichtigsten Werten und geht es mit meinen Erfahrungen einher?
- Ist es wirklich das, was ich denke, fühle und von dem ich überzeugt bin, oder habe ich es ungefiltert und ungeprüft von anderen übernommen, weil es gerade in ist oder der Mehrheitsmeinung entspricht?
- Denke ich meine Gedanken gerade nur, weil man es eben so denkt und weil ich mich der Mehrheit in meiner Bubble anpassen möchte?
Dass dies gar nicht so selten vorkommt, hat der Psychologe Solomon Asch bereits 1951 in seinem berühmten Konformitätsexperiment herausgefunden, in dem er aufzeigte, wie Gruppenzwang eine individuelle Person so zu beeinflussen vermag, dass sie eine offensichtlich falsche Aussage als richtig bewertet. Und nur, damit wir uns richtig verstehen, ich möchte Sie auf keinen Fall dazu anstiften, einer dieser Egal-Was-Es-Ist-Ich-Bin-Grundsätzlich-Gegen-Alles-Nörgler zu werden. Kritisches Denken wird erst dann sexy, wenn man vor allem sich selbst und seine individuellen Denkprozesse kritisch hinterfragt, und in jede Diskussion mit der Bereitschaft geht, falsch liegen zu können.
Das Mindset des kritischen Denkens
Je mehr Sie aber dieses Mindset als Grundlage anwenden, desto eher werden Sie eine Art inneren Bullshit-Filter entwickeln und feststellen, wie viele Falschinformationen verwendet werden, wie häufig bestimmte Dinge einfach nachgeplappert und wie viele Mythen, falsche Fakten und Fake Behauptungen einfach wahllos verbreitet werden und sich auf eine fast schon kuriose Weise in einer Art Domino-Rallye zur allgemein akzeptierten Wahrheit entwickeln, obwohl sie es eigentlich gar nicht sind.
Wesentlich wichtiger ist aber noch ein ganz anderer Faktor. Je häufiger Sie die eigenen Entscheidungen, Strategien, Ihre Karriere, Ihr Business und Ihre Lebensplanung auf eigenen Ideen, eigenen Meinungen und eigenständigem Denken aufbauen, desto authentischer und erfüllender wird das Ganze eben auch.
Und gleichsam erhöht sich eben auch die Qualität Ihrer eigenen Inhalte, Ihrer Dienstleistungen und Kommunikation im Allgemeinen. Denn je mehr Sie eigenständig denken, desto mehr kommen Sie in Kontakt mit Ihrer individuellen Einzigartigkeit. Je mehr Sie im wahrsten Sinne des Wortes zum Denker Ihrer eigenen Gedanken werden, desto wertvoller werden Ihre Ideen, Ihre Persönlichkeit wird sexy und Sie stechen aus der grauen Masse der Konformität heraus.
Fragen Sie sich im Zweifelsfall immer „Woher weiß ich das?“ und dann gehen Sie tiefer, idealerweise zur Quelle. Woher stammen die vermeintlichen Fakten? Ist es nur eine Meinung oder lässt es sich anhand von Studien, wissenschaftlichen Untersuchungen oder sonstigen nachweislich belegbarer Zahlen, Daten und Informationen nachweisen? Der letzte Punkt ist so essenziell, denn viele Menschen argumentieren häufig nur auf der Basis von Meinungen, Gefühlen oder anekdotischer Evidenz, die unter bestimmten Rahmenbedingungen einmal eine Ausnahme war, aber eben nicht allgemein gültig ist.
Werden Sie zum Denker der eigenen Gedanken
Es würde daher mein Herz mit großer Freude erfüllen, wenn Sie diesen Artikel zum Anlass nehmen würden, Ihre eigenen Denkprozesse und -strategien einmal gründlich auf den Prüfstand zu stellen. Dies bedeutet natürlich, auch das kritisch zu hinterfragen, was ich Ihnen gerade versucht habe, zu vermitteln. Sich zu fragen, ob das wirklich alles so stimmt und Sie es übernehmen wollen, oder ob es möglicherweise sogar völliger Quatsch ist.
Wenn Sie das für sich herausfinden sollten, dann ist das vollkommen in Ordnung. Mir war viel wichtiger, Sie ein wenig herauszufordern, zu kitzeln und Sie dazu zu animieren, das so wichtige Denken nicht anderen Menschen zu überlassen. Und wenn Sie diesen Weg gehen wollen, dann wäre doch jetzt ein guter Zeitpunkt, die Denkfaulheit über Bord zu werfen und ein und für alle Mal zum Denker Ihrer eigenen Gedanken zu werden. Nicht wahr?